Toleranz durch Verbote – geht das?

Ein Kommentar von Lara Wynne

Vor kurzem erfuhren wir im Deutsch-Leistungskurs, dass das Gendern ab sofort als Rechtschreibfehler zählt. Während die meisten Schüler*innen im Kurs weniger erstaunt in die Runde blickten, dachte ich mir: wie bitte?? Das ist doch bitte ein schlechter Scherz, oder?

Leider nicht. Das Regierungspräsidium Baden-Württembergs ruft alle Lehrkräfte dazu auf, gegenderte Formulierungen mit Sonderzeichen, zum Beispiel dem Genderstern, dem Binnen-I, dem Gender-Gap oder dem Gender-Doppelpunkt, als Rechtschreibfehler anzustreichen. Die Begründung? Man solle den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung folgen. Aha, und was sagt dieser dazu? In einer Pressemittelung vom 15. Dezember 2023 stellt er fest, dass geschlechtergerechte Texte vor allem eines sein müssten: verständlich. Inwiefern Gendern in der Schule erlaubt oder nicht erlaubt sein solle, entscheide die Schulpolitik, nicht aber der Rat für deutsche Rechtschreibung. „Ob in diesem Sinne ggf. eine ‚rezeptive Toleranz‘ als eine schulpolitische Handlungsoption zu betrachten ist, obliegt ebenfalls den verantwortlichen staatlichen Stellen“. Also ja, der Rechtschreibrat ist nicht direkt für das Gendern. Aber er macht auch klar, dass er nicht entscheidet, wie sich das auf die Schulpolitik auswirkt. Das baden-württembergische Kultusministerium hat sich ganz offensichtlich bereits entschieden, und zwar gegen die Toleranz. Interessant ist nur, dass man sich auf den Einlassungen des Rechtschreibrats ausruht und offensichtlich keine Verantwortung übernehmen möchte. Bisher durfte das Gendern in Aufsätzen unkommentiert bleiben, doch jetzt ist das „*in“ wohl doch zu kompliziert für uns Abiturient*innen (viel komplizierter als der Lehrstoff; das Anhängen einer weiteren Silbe und eines Sternes verlangt uns aber auch echt viel ab!).

An dieser Stelle möchte ich gerne erwähnen, dass das Gendern viel mehr als nur eine Rechtschreibregel ist. Denn durch das Gendern drücken wir eine gewisse politische Haltung aus, nämlich diese, dass alle Geschlechter gleichwertig genannt und behandelt werden sollen. Wenn man den Menschen also das Gendern verbietet, verbietet man damit immer gleichzeitig eine politische Haltung. Und das Schlimmste daran ist, dass man dies lächelnd mit Verweis auf die „richtige Rechtschreibung“ tun kann. 

Doch das mit der politischen Haltung ist einigen Landesregierungen offenbar egal. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und kürzlich auch in unserem Nachbarland Bayern wurde bereits ein Genderverbot verhängt. 

Schultoilette : nicht in Bayern, sondern in Baden-Württemberg (Foto: Martina Tuda)

In Bayern wird dies damit begründet, dass Sprache ja „klar verständlich sein“ solle.

Doch ich frage mich, was genau „klar verständlich“ bedeutet, denn es kann mir doch niemand erklären, dass man das Wort „Schüler*in“ aufgrund eines Sternchens nicht verstehe. Vielleicht ist Gendern anstrengend. Vielleicht kann nicht jede*r „richtig“ gendern. Aber keineswegs ist es schwer zu verstehen. Oder hattet ihr Probleme, den letzten Satz zu begreifen?

Es wird argumentiert, man wolle doch bloß Ungerechtigkeiten aus dem Weg räumen! Schließlich sollten „Studenten (sic!) keine Nachteile bekommen, wenn sie diese Art von Gendern(…) nicht machen, weil sie das nicht wollen“. Doch anscheinend erkennen die Politiker*innen nicht, dass ihre Beispiele auch ganz einfach zu einem Gegenargument werden können. Denn tatsächlich gibt es Menschen, die ganz freiwillig gendern. Und jetzt werden eben diese Menschen benachteiligt, indem sie Abzüge erhalten, wenn sie inKlausuren mit Sonderzeichen gendern. Die Politik hat also mit ihrer ach so „fortschrittlichen“ Aktion keine Gerechtigkeiterreicht, sondern die Ungerechtigkeit gefördert. Sich dann auch noch auf die Schulter zu klopfen und zu sagen, dass man das Gendern zum Wohle einer „liberalen Gesellschaft“ durchführt, ist höchst fragwürdig (und völlig paradox, wenn man darüber nachdenkt). Übrigens dürfen Studierende (das ist der korrekte Begriff) weder bevorzugt noch benachteiligt werden, wenn sie gendern oder wenn sie das nicht tun. Wäre es dann nicht besser, sich dafür einzusetzen, dass das Gendern gar keinen Einfluss auf die Note hat, als es ganz zu verbieten? 

Wer sich in Bayern dem Genderverbot widersetzt, dem drohen „Konsequenzen“. Was genau das für Konsequenzen sind, das wird nicht weiter erläutert. 

Außerdem solle durch eine solche Sprache kein moralischer Druck stehen, heißt es weiter in der Pressekonferenz vom 19. März. Interessant, dass man sich durch das Nicht-Gendern unter Druck gesetzt fühlt. Vermutlich möchte man sich vor Kritik und dem „Canceln“ schützen, wenn man sich öffentlich gegen das Gendern positioniert. Verständlich. Niemand möchte schlecht dastehen. Aber ist das Grund genug, den Menschen, die sich bewusst dazu entscheiden, durch die Sprache ihre Toleranz und politische Einstellung (Stichwort „Meinungsfreiheit“ Artikel 5 Grundgesetz, wer das vergessen hat) auszudrücken, den Mund zu verbieten? Ist das genug, um ein VERBOT durchzuführen? Hallo? Leben wir hier nicht in einer Demokratie? Wenn man in einer Demokratie lebt, muss man mit Kritik umgehen können und nicht einfach den Diskurs unterbinden, weil man‘s halt kann. Das könnte man durchaus als Machtmissbrauch bezeichnen. Es ist völlig okay, gegen das Gendern zu sein, aber wieso muss man diese Denkweise allen Menschen aufzwingen? 

Aber das sei doch ganz einfach: das Gendern habe eine exkludierende Wirkung, so der bayerische Staatskanzleichef. Ach ja, stimmt. Habe ich ganz vergessen. Durch das Gendern wollen wir so wenig Menschen wie möglich ansprechen, weil wir uns aus Spaß darum bemühen, über das generische Maskulinum hinwegzusehen. Und dass die bayerische Regierung so ein Genderverbot durchführt, ist natürlich ganz toll, um die Inklusion voranzutreiben. 

Auch der Landesschüler*innenbeirat (LSR) in Bayern fragt sich, wie man Diskursräume durch ein allgemeines Genderverbot offenhalte, wie er auf der Plattform X mitteilt. 

Ich frage mich dabei eher, warum so ein großes Trara ums Gendern betrieben wird. Ist es nicht eigentlich toll, dass sich immer mehr Menschen Gedanken darüber machen, wie man die Sprache geschlechtergerechter machen kann? Die Sprache prägt das Denken. Das sagen auch Sprachwissenschaftler*innen, wie zum Beispiel Lera Boroditsky, die sich sicher ist, dass auch das Gendern beeinflusst, was und wie wir denken. 

Wie also umgehen mit dieser frustrierenden und sogleich irritierenden Situation? Für uns Schüler*innen heißt das erst einmal: sich etwas trauen. Für alle diejenigen, die sich trotz Verbot weiterhin für eine gendersensible Sprache einsetzen wollen, habe ich ein paar Vorschläge:

1. Doppelnennungen. Damit kann man nichts falsch machen, weil sie keine Sonderzeichen haben. Was dagegenspricht, ist, dass sie keine non-binären Personen miteinbeziehen.

2. Neutrale Formulierungen oder Substantivierung von Adjektiven. Diese haben auch keine Sonderzeichen, allerdings gibt es sie nicht für jedes Wort. Beispiel: Lehrkräfte, Studierende.

3. Gendert einfach trotzdem! Es wird zwar als Fehler gewertet, aber alle Wiederholungen des Genderns zählen dann als Folgefehler. Ich denke, diesen einen Fehler können wir uns schon leisten, wenn der Wille da ist. 

4. Oder (meine Lieblingsvariante): benutzt einfach das generische Femininum (z.B. „Schülerinnen“) mit der Randnotiz, damit seien doch alle Geschlechter gemeint. ☺️

Und jetzt lasst uns einfach hoffen, dass uns ein solches generelles Genderverbot in Baden-Württemberg nicht auch droht. Wir haben uns noch nicht ausgegendert. Und erinnert euch dran, Toleranz wird nicht durch Verbote gefördert oder gar geschaffen, sondern wird durch offene Diskurse am Leben gehalten. 

Lara Wynne

2 Kommentare zu „Toleranz durch Verbote – geht das?

  1. Liebe Lara,

    ein großartiger Kommentar! Übrigens: Lehrer*innen übersehen auch öfter mal einen „Rechtschreibfehler“, kommt vor!

    Herzliche Grüße, Martina Tuda

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  2. Doppelnennung ist je nach Definition auch ein Gendern, wo mit man sein „politisches Statement“ in seiner Sprache ausdrücken kann. Dies ist ja auch erlaubt und wird so auch in der Politik verwendet.(https://youtu.be/OKKC2kceEE8?si=IGTEVQuqapQaHH6j)

    Gendersprache mit bspw „*“ Grammatikalisch nicht korrekt. Dies ist nicht nur die Meinung des Rechtschreiberats sondern ebenfalls vieler Sprachwissenschaftler. Darunter ebenfalls Luise F. Pusch die zu den bedeutsamsten Begründerinnen der deutschen feministischen Linguistik zählt. (Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=GKwuyaTzxTg&t=0s [24:40])

    Die Schule muss uns einheitlich Unterrichten und muss sich an die Richtlinien unserer deutschen Sprache richten. Hier von der Einschränkung freier Meinungsäußerung zu sprechen finde ich persönlich deshalb ziemlich übertrieben Ausgedrückt. Sprache muss einheitlich sein damit sie jeder Versteht und es kommt mir immer vor als ob man das Gendern einfach trotzdem durchsetzen will obwohl man auf dem Demokratischen Weg scheitert.

    Hier ist noch ein Video mit Kritik und Lösungsansätzen generell zum Gendern

    LG

    (Ich hafte nicht für Rechtschreib – und Grammatikfehler)

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