„Later on I’ve realized that the character I created there was basically me as a kid“- Die J2 bei Lesung von Tom Franklin

Tom Franklins Roman „Crooked Letter, Crooked Letter“ (2010) ist seit 2019 Pflichtlektüre für das Englisch-Abitur in Baden-Württemberg. Dieses Jahr wird die Lektüre ein letztes Mal von allen Englisch-Leistungskursler*innen gelesen. Ein Glück also, dass Tom Franklin extra nach Stuttgart gereist ist, um an zwei Tagen vor insgesamt 750 jungen Menschen eine Lesung zu halten.

Und noch ein größeres Glück ist, dass die beiden Englisch-Leistungskurse der J2 am Dienstag die Möglichkeit hatten, am Vormittag ins Rathaus zu fahren, um die Lesung zu besuchen. Organisiert wurde sie vom Deutsch-Amerikanischen Zentrum (DAZ).

Doch zuerst möchte ich kurz auf den Inhalt des Romans zu sprechen kommen, damit alle die Anekdoten verstehen können, die uns Tom Franklin erzählt hat.

1979 in Chabot, Mississippi. Im Süden der USA spielt die Geschichte, in der es zwei Hauptfiguren gibt; Larry Ott und Silas Jones. Larry Ott ist Einzelkind einer weißen Arbeiterfamilie. Seine Mutter Ina ist eine „Stay-at-home-mom“ und sein Vater Carl besitzt eine Autowerkstatt. Als Larry 13 Jahre alt ist, stehen plötzliche eine Schwarze Frau und ihr Sohn am Straßenrand und Carl scheint sie zu kennen… Der Sohn, Silas, freundet sich heimlich mit Larry an. Doch eines Tages bekommt Carl von der Freundschaft Wind, da Larry seinem neuen Freund Carls Gewehr ausgeliehen hat. Carl lässt die beiden gegeneinander um die Waffe kämpfen. Im Eifer des Gefechts bezeichnet Larry Silas als das N-Wort und die Freundschaft der beiden Jungen ist beendet. Ein paar Jahre später wird Larry von seinem Schwarm Cindy auf ein Date eingeladen, welches aber anders ausgeht, als er es erwartet hat. Larrys und Silas‘ Wege trennen sich und kreuzen sich erst einige Jahre später wieder. Das allerdings bloß, weil Silas in dem Mordfall ermittelt, in dem Larry der Hauptverdächtige ist.

Hier, im Bundesstaat Mississippi, spielt der Roman. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Southern_States.png)

Das erste, das Tom Franklin uns sagt, ist, dass er sich dafür entschuldigt, dass wir sein Buch lesen mussten. Uns wird klar, das wird eine humorvolle Lesung. Tatsächlich hat Tom- Tommy, wie er sich nennt- sehr viel zu erzählen. Er erzählt beispielsweise von einer Situation als Kind, als er mit seiner Mutter mit dem Auto fuhr und zwei Schwarze Kinder ohne Jacken an ihnen vorbeiliefen. Seine Mutter gab ihnen Wintermäntel und danach liefen die Kinder weg. Wer „Crooked Letter, Crooked Letter“ gelesen hat, wird sich an eine Szene erinnern, in der Ina (Larrys Mutter) Alice und Silas Wintermäntel überreicht, als sie am Straßenrand stehen.

Tom Franklin erzählt, dass Autor*innen oft Situationen aus dem Alltag nehmen und daraus eine Geschichte kreieren. Im Nachhinein ist ihm beim Schreiben von Larrys Vergangenheit aufgefallen, dass er im Grunde sich selbst als Teenager beschrieben hat („Later on I’ve realized that the character I created there was basically me as a kid“). Larry und Tom wurden beide in der Schule ausgegrenzt, mochten es beide zu lesen, mögen beide Stephen King (als Franklin später nach seinem Lieblingsbuch gefragt wird, nennt er unter anderem „Holly“ (2023) von Stephen King). Allerdings betont er, dass er, im Gegensatz zu Larry, einen wundervollen Vater und eine tolle Familie gehabt hat. Dennoch gibt es noch mehr Parallelen zwischen seinem und Larrys Leben. Beispielsweise hat Tom Franklin für ein Mädchen aus seiner Stufe geschwärmt, das Carla hieß. Sie hat ihn nach einem Date gefragt, allerdings nur, um sich in Wirklichkeit mit ihrem Freund zu treffen. Später erfährt Tom Franklin, dass Carla im Gefängnis sitzt, und zwar wegen Mordes. Weshalb? Sie hat ihren Ehemann erschossen. Dementsprechend ist Tom Franklin eigentlich doch ganz froh, dass es nicht geklappt hat. Umso mehr klappt Franklins eigene Ehe mit seiner Frau Beth Ann Fennelly. Sie ist genau wie er Professorin an der University of Mississippi und hat eine Zeit lang in Brasilien unterrichtet. Franklin erzählt, dass er den Roman „Crooked Letter, Crooked Letter“ zum Großteil dort geschrieben hat.

Dabei ist ihm auf einmal eingefallen, wer der Mörder von Tina Rutherford sein musste, und zwar Wallace. Franklin setzte sich an den Pool und schrieb das Kapitel, in dem sich Larry und Wallace treffen, an einem Stück nieder. Wie er uns erzählt, hat er daran fast nichts mehr geändert. Er spricht davon, dass dieser Teil der Geschichte mit Wallace so lange in ihm geschlummert hat, bis er sie aufs Papier gebracht hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist nämlich unklar gewesen, wer Tina Rutherford umgebracht haben soll. Franklin war weder mit Larry noch mit Silas als Mörder zufrieden gewesen, als ihm plötzlich der neue Charakter einfiel. Silas, der zweite Hauptcharakter sollte ursprünglich weiß sein, doch im Schreibprozess entschied sich Tom Franklin dazu, ihn zu einem Schwarzen Charakter zu machen. Lange hat es Franklin beschäftigt, ob er es sich als weiße Person erlauben darf, die Perspektive einer POC einzunehmen. Nach einem Gespräch mit einem Schwarzen Freund Franklins (David), der ihn dazu ermutigt hat, sich dies zu trauen, hat er es dann getan.

Später kommt die Frage nach dem N-Wort auf. Dies ist ein sehr wichtiges Thema für Franklin. Er erzählt davon, dass er hin- und herüberlegt hat, ob er dieses Wort im Roman verwenden soll oder nicht. Der besagte Freund hat ihm schließlich dazu geraten, es doch im Buch zu lassen. Franklin meint, er fühle sich unwohl dabei, es im Buch gelassen zu haben und hat es sich seit der Veröffentlichung nicht mehr durchgelesen und weiß gar nicht mehr, wie oft das Wort vorkommt (Spoiler: ziemlich oft). Er betont, dass das Buch historisch ist und man nicht vergessen darf, dass es in den 1980-ern in den Südstaaten spielt und man damals das Wort eben gesagt hat. Trotzdem erklärt er, dass er das den Begriff heute nicht mehr schreiben würde.
Franklin erklärt, dass er sich als Südstaatler zutiefst schuldig für die Vergangenheit fühlt, jedoch keinen einzigen rassistischen Knochen in sich hat („Not one bone in me is racist“).

Als sich die Fragen aus dem Publikum irgendwann doppeln (Tom Franklin findet jedoch immer eine andere Art, sie zu beantworten), geht die Veranstaltung nach eineinhalb Stunden zu Ende.

Ganz aufgeregt eilen die Schüler*innen nach vorne zum Autor und wollen mit ihm ein Bild machen. Auch aus unserem Kurs fotografieren sich einige Schüler*innen mit Tom Franklin. Hier seht ihr das Ergebnis:

Später sprechen wir in der Englischstunde über die Lesung und sind uns einig, dass das ein einmaliges (und tolles!) Erlebnis war. Viele waren noch nie auf einer Lesung gewesen und haben sie sich irgendwie langweiliger vorgestellt (damit meine ich mich selbst).

Wer jetzt neugierig auf das Buch geworden ist, sollte es unbedingt lesen (natürlich auf Englisch ;)).

Lara

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